In der Wissenschaft gibt es keine fest definierte Zeiteinheit für den Moment. Der Moment ist eine in seiner Länge kurze aber in seiner Dauer nicht messbare Zuordnung. Die Dauer resultiert eher aus einer persönlichen Empfindung als aus der Komplexität der Abbildung. Der Prozess der Fotografie lässt sich in drei Phasen gliedern: der Moment der Bestimmung, der Moment der Aufnahme und der Moment der Rezeption.

 

Der Moment der Bestimmung

Es gibt diesen einen Moment, in dem der Fotograf beschließt, ein Foto zu machen, weil er es für wert befindet, dass dieser Moment in einer Reihung von Begebenheiten einen besonderen Platz einnimmt und festgehalten werden soll, um nicht zu vergehen. Es kann auf Planung, einer Ahnung oder sogar auf Zufall beruhen, aber dieser Moment ist bereits dadurch definiert, dass eine Kamera zugegen und benutzt wird.

Für mich ist Fotografie die im Bruchteil einer Sekunde sich vollziehende Erkenntnis von der Bedeutung eines Ereignisses und gleichzeitig die Wahrnehmung der präzisen Anordnung der Formen, die dem Ereignis seinen typischen Ausdruck verleihen.
Henri Cartier-Bresson

 

Der Moment der Aufnahme

Wenn die Kamera das Motiv einfängt, findet die Aufnahme des tendierten Momentes statt. Diese Aufnahme des Moments ist in gewisser Weise steuerbar (Wahl von Kameratyp, Format, Film oder digital, Belichtungszeit, Empfindlichkeit. etc.) Art und Abbildungsmöglichkeit werden sowohl vom Fotografen (durch seine Einstellungen) als auch von der Kamera (Bauweise) bestimmt. Einstellungen bezüglich Verschlusszeit offenbaren die Dehnbarkeit des Momentbegriffs.

Für mich ist die Kamera ein Skizzenbuch, ein Instrument der Intuition und Spontaneität, der Herrscher des Augenblicks, der – visuell ausgedrückt – gleichzeitig in Frage stellt und entscheidet.
Henri Cartier-Bresson

 

Der Moment der Rezeption

Zu guter Letzt kommt der Rezipient des Fotos ins Spiel, sei es der Fotograf selbst oder jeder andere Beobachter des bildgewordenen Moments. Der Moment ist eingefangen worden, um zu wirken. Ohne wahrnehmendes Subjekt bleibt das Foto ein Objekt ohne Deutung. Die Erkenntnis liegt im Auge des Betrachters. Das Motiv muss nicht wirken. Wenn kein Interesse geweckt wird, bleibt es ein Bild unter Milliarden anderen. Ein gutes Foto reizt den Betrachter: es zu erkunden, zu erkennen und ihm Bedeutung in inhaltlicher oder emotionaler Form zuzuweisen. Im Idealfall wird der Moment der Aufnahme wieder lebendig oder transformiert sich zu etwas Neuem.

Ein gutes Foto ist ein Foto, auf das man länger als eine Sekunde schaut.
Henri Cartier-Bresson

 

Der Moment in der Fotografie ist also multivalent. Er ist weder eine singuläre noch eine eindeutige Erscheinung. Der Fotograf fängt mit seiner Kamera ein momenthaftes Bild ein und übergibt es dem Betrachter zur Deutung.

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