Restriktionen in der Fotografie müssen nicht immer als Hindernis betrachtet werden, sondern sie können wie ein Preset genutzt werden.

Technische Einschränkungen als ästhetisches Element

Anstatt technisch machbare Perfektion auszuloten, kann mit den Limitationen jeder Kamera gearbeitet werden. Zum Beispiel produziert ein sehr hoher ISO-Werte bei Digitalkameras Bildrauschen, das an Korn analoger Filme angelehnt ist und den Bildern eine raue, strukturhafte Qualität verleiht. Aber natürlich ist es kein Korn. Es ist etwas Digitales – ein Versuch, dem Unerkannten eine Form zu geben. Es entstehen digitale Artefakte, die versuchen, Fehler der Abbildungsleistung zu kaschieren. Diese Imperfektion ist Teil des Abbildungsprozesses und somit ein ungewolltes oder gewolltes Stilmittel.

 

High ISO als ästhetische Ausdrucksform

Der bewusste Verzicht auf die Nutzung eines Stativs bei Low-Lights-Situationen und der daraus resultierende Einsatz von sehr hohen ISO-Werten können als künstlerisches Mittel genutzt, um eine spezifische Bildwirkung zu erzielen. Dadurch entstehende Körnigkeit (OOC) verleiht den Bildern eine raue, organische Textur, die an analoge Filmästhetik erinnert und den Eindruck von Flüchtigkeit und Unmittelbarkeit verstärkt. Diese Körnigkeit ist nicht unabhängig in ihrer Erscheinungsform sondern Abbild spezifischer Entscheidungen der Ingenieure des jeweiligen Sensors und Kameraherstellers. In Prints manifestiert sich diese Ästhetik als taktil wahrnehmbares Rauschen, das die Grenzen zwischen Detailtreue und Abstraktion auslotet. Gleichzeitig trägt das Bildrauschen dazu bei, subtile Tonwerte von Restlicht und Dunkelheit hervorzuheben, wodurch Licht zu einer formgebenden Kraft wird. Die herbeigeführte Körnigkeit schafft nicht nur eine visuelle Intensität, sondern evoziert auch ein Gefühl von Intimität und Nähe, die die atmosphärische Dichte der Wahrnehmung von Dunkelheit Revue passieren lässt. Details werden durch diese Art der Fotografie digital abstrahiert, wodurch ein eher subjektiver Blick auf lichtarme Szenen entsteht.

 

Restlicht und die Grenzen des Sichtbaren

Restlicht – jenes schwache, oft unbemerkte Licht, das in der Dunkelheit verharrt und dennoch Strukturen, Bewegungen und Atmosphären sichtbar macht. Restlicht steht metaphorisch für das Nicht-Sichtbare, das dennoch präsent ist, für die Fragmente, die sich an der Schwelle zwischen Wahrnehmung und Vergessen bewegen. In Schwarzweißprints offenbart sich dies durch Kontraste, subtil aufscheinende Details und die Körnigkeit des Bildrauschens, die wie eine visuelle Metapher für die Lücken in unserer Wahrnehmung wirkt. Bereiche, die vollständig in Dunkelheit getaucht sind, kontrastieren mit überbelichteten Lichtquellen, sodass das Auge gezwungen wird, zwischen sichtbaren und angedeuteten Ebenen zu navigieren. So entstehen Bilder, die nicht nur die Szenerie zeigen, sondern auch den Versuch, technischen und menschliche Grenzen der Sichtbarkeit zuzulassen. Das menschliche Auge ist ein Wunderwerk aber doch abhängig von der vorhandenen Lichtmenge. Kameratechnik kann diese Grenzen überwinden, was auch einen eigenen Reiz hat. Das Nicht-Sichtbare im Dunkeln zu belassen, kann wieder eine menschliche Dimension in die Fotografie bringen.

 

An den Rändern des Möglichen

Kunst bewegt sich oft an den Rändern des Möglichen. Es geht um Ausloten von Grenzen. In der Fotografie suggeriert ständig verbesserte Kameratechnik die Möglichkeit einer objektiven Abbildung von Welt. Die Welt an sich gibt es aber nur als Vorstellung. Weltwahrnehmung und -darstellung ist immer beschränkt und konnotiert. Alle Bezugsgrößen können nicht erfasst werden. Beschränkungen sind der Wahrnehmung inhärent. Der Mensch wählt ständig aus. Kunst lebt durch und mit Grenzen. Kunst braucht Beschränkung als Motor und Sinngebung. Bewusste Manipulationen und selbstgewählte Limitationen können helfen, andere Wege zu beschreiten, wo das Alltägliche zu normal erscheint und das Normale Unausgesprochenes versteckt.